Es ist ein Freitag Anfang März. In dieser Zeit noch vor dem Zyperngau, traf ich in der Börse Frank Meyer zu einem recht persönlichen Interview. Wir sprachen nicht nur über Geldpolitik, Lobbyismus und die gesellschaftliche Realität, sondern auch über die wirklich wichtigen Dinge im Leben.
F: Denkst Du, da gibt es jetzt tatsächlich irgendwelche Änderungen? Bringt dieser Protest was? Was muss noch passieren, damit das in Brüssel ankommt und tatsächlich auch Konsequenzen gezogen werden?
A: Brüssel muss Angst bekommen. Brüssel muss Angst bekommen, dass es gesellschaftliche Unruhen gibt. Und wenn es soweit kommt, an den Punkt, dann wird man wahrscheinlich mit Konjunkturprogrammen kommen. Dann wird man vielleicht mit nem Helikopter irgendwelche Gelder abwerfen und die dann vielleicht Konjunkturhilfe nennen, was das einzige Nötige wäre. Wir können diese Karre sowieso nicht mehr aus dem Dreck ziehen. Aber wir können verhindert, dass die jetzt schon morgen untergeht, sondern vielleicht erst in fünf Jahren. Also man kann damit Zeit gewinnen. Wenn wir jetzt schon so viele Schulden haben, dann kommt´s auf weitere Billionen auch nicht mehr drauf an.
F: Also weitere Inflationierung, um den Kaugummi noch ein bisschen länger zu ziehen?!
A: Richtig. Eine andere Möglichkeit sehe ich auch nicht. Also dieses Schuldensparen…Wenn die Politiker verstehen würden, wie das Geldsystem funktioniert, wären die gar nicht auf diese irrsinnige Idee mit dem Sparen gekommen. Strukturreformen – ich war neulich erst in Spanien gewesen- die sehen dann so aus, indem man einfach die Steuern und die Abgaben erhöht und den Leuten versucht, das Geld aus der Tasche zu ziehen. Es muss aber irgendwo auch reinkommen in die Tasche – und das sehe ich nicht.
F: Meinst du wirklich, die haben das Geldsystem immer noch nicht begriffen? Verstehen die es wirklich nicht, oder wollen sie es nicht zugeben?
A: Ich glaub nicht, dass sie es verstehen. Das Geldsystem ist ne ziemlich komplizierte Geschichte. Sie ist jedenfalls ziemlich kompliziert gemacht worden, seitdem man eben Notenbanken hat. Und die Notenbanken zwar auch früher mal getrennt von der Politik gewesen sind… aber da wächst dann zusammen, was zusammen gehört und beide gehen miteinander ins Bett. Es ist auch ganz eindeutig, wer hier Finanzierer von Politik und von Regierungen ist. Und dementsprechend werden wir auch die Aktionen sehen, weil die Politik braucht Geld, um auch den Sozialstaat zu bezahlen, beispielsweise, und um eigene Projekte, Prestigeprojekte nach vorn zu bringen. Und dementsprechend muss das irgendjemand schultern. Irgendjemand muss denen das Geld geben, irgendjemand muss jemand die Anleihen rausgeben und besichern. Und die sind so groß, die Dimensionen, dass eben dann nur die Notenbanken noch bleiben. Wobei die Regierungen, die holen sich das Geld ja eigentlich am Markt -und wer gibt es denen? Das sind die Banken, das sind nicht direkt die Notenbanken, die sorgen ja bloß dafür, dass der Zins niedrig bleibt.
F: Und kommen dabei im Prinzip ihrem eigentlich gegebenen Job nicht mehr hinterher. Der Job von der EZB ist ja eigentlich die Stabilität aufrecht zu erhalten!?
A: Es gibt ja zwei Säulen: Eben die Geldmenge und die andere Seite ist die Preisstabilität. Das war mal so gewesen. Man konnte es natürlich dann ein bisschen breiter auslegen, das Mandat. Und dann überschreitet man die Grenzen. Und zum Schluss – einfach aus der Notwendigkeit heraus – wird man das tun, was die amerikanische Notenbank macht, was die japanische Notenbank macht. Die EZB ziert sich da noch so ein bisschen und da gibt es viel politisches Geschrei, aber wenn man das den Leuten nach draußen verkauft, die dann jubeln dabei und dann sagen: Ja, das ist der richtige Weg. Dann wird es wahrscheinlich auch gemacht. Ich sag´s mal ganz drastisch: Scheiß auf die Stabilität, lieber Ruhe im Land!
F: Es gab ja auf Arte neulich eine Dokumentation „The Bruxelles Business“. Ich weiß nicht, ob Du da rein geguckt hast. Da sieht man wirklich, dass die Lobbyisten nicht nur im Hinterzimmer da irgendwie diejenigen sind, die die Entscheidung auf einer Blaupause vorzeichnen, sondern das ist im Prinzip ganz offiziell!
A: Das ist ganz offiziell. Wenn man sich sowas dann anschaut ist das sehr sehr erschreckend. Es läuft auf Arte, es müsste eigentlich auf RTL um 20.15 Uhr gesendet werden, oder auf der ARD oder im ZDF. Also mir schnürt´s da die Kehle zu. Wir wissen zwar schon, dass es einigermaßen so läuft, aber in der Dimension ist es sehr sehr erschreckend. Ich bring aber noch einen anderen Punkt mit rein: Wenn man hier in dem Land von der Politik die Nase voll hat, kann man die Politiker abwählen. Man kann jedenfalls ein Kreuz machen, das geht ja. Bloß diese Typen da drüben in Brüssel, die ich nicht gewählt habe, die niemand gewählt hat, niemand hatte die Chance, sie zu wählen oder abzuwählen. Ich weiß nicht, ob man Barroso gewählt hätte oder den Van Rompuy… die kriegt man nicht mehr los! Und die können da drüben machen, was sie wollen. Man kriegt sie nicht mehr los! Und das hat für mich mit Demokratie in der Form wie ich sie kenne, kannte, mir vorstelle, nicht mehr so viel zu tun! Aber die gehen forsch ran ans Werk in Brüssel.
F: Ich fand´s spannend, gestern wurde eine Umfrage im Fernsehen auch veröffentlicht, da wurde gesagt 49% der Deutschen hatten ein besseres Leben ohne die EU, 65% wünschen sich die DM zurück und sind mit dem Euro nicht mehr zufrieden. Das sind ja ganz neue Entwicklungen, denk ich auf jeden Fall. So deutlich hat Deutschland sich bisher noch nicht positioniert. Sind wir doch irgendwie an einem Umschwungpunkt?
A: Es ist erschreckend! Wer hat überhaupt zugelassen, dass diese Zahlen rauskommen? (lacht) Ja ich seh´s ja auch, ich merk´s ja auch! Julia, wir waren jetzt gerade vor der Börse und haben uns mal auf dem Platz umgeschaut. Interessiert es irgendwie jemanden, was da in Brüssel passiert, was in Berlin passiert? Interessiert irgendjemand, dass Gesetze gebrochen wurden und weitere Gesetze gebrochen werden? Dass ihnen jemand in die Tasche greifen will, weil er in die Tasche greifen muss? Dass hier ein Kontinent platt gewalzt wird? Es interessiert doch niemanden! Wenn man draußen am Freitag seine Stände hat und dann seinen Wein da trinken kann. Wenn man seine Bratwurst dazu essen kann, am Wochenende gibt es Fußball. Ich glaube, die meisten Leute wissen gar nicht mal, was da in den letzten Monaten und den letzten Jahren umgebaut wurde. Die wissen nix davon, was ein ESM ist und welche Handlungsmöglichkeiten der dann hat. Wir hatten ne Umfrage draußen heute auf der Straße gemacht: Viele Leute kennen den Dax nicht. „Das ist das Ding, das Kurven macht“ haben wir heute einen O-Ton gekriegt. Die Leute haben einfach die Nase voll, sich mit Dingen zu beschäftigen, die sie selbst betreffen. Das ist auch ne Beobachtung, die bei mir stärker geworden ist. Und dennoch: Die Stimmung in den Online-Medien, in den Kommentaren die man sieht, es ist eine eindeutige Sprache. Unter jeder Jubelmeldung, die von irgendjemandem herausgegeben wird, steht eine Gegenmeinung dazu. Das hat sich sehr deutlich geändert. Es gibt eine Spaltung in der Gesellschaft von denjenigen, die überhaupt nichts mitbekommen wollen, die vielleicht auch nicht intellektuell in der Lage sind, das zu verstehen. Ist ja wirklich auch komplizier… und diejenigen, dies verstanden haben und aber laut sagen: Ich will das nicht. Sie machen ihren Protest nicht auf der Straße, sie machen ihren Protest an der Tastatur.
F: Ist das nicht irgendwie mühselig dann irgendwann? Also Du berichtest jeden Tag von den Märkten. Es gibt schon seit Jahren diese Meinung oder es wird seit Jahren schon publiziert, dass das so nicht weitergehen kann. Wir sehen jetzt wirklich genau die Entwicklungen, die schon ewig vorhergesagt sind. Wie fühlt man sich dann irgendwie an dieser Position hier, jeden Tag?
A: Ich bin ein Berichterstatter über Geldflüsse. Über die Auswirkungen von Notenbankpolitik, die sich in den Aktienkursen niederschlägt. Viele sagen: Dax bei 8000, es ist eine nominale Zahl, ist völlig verrückt! Ne ist es nicht! 8000 jetzt zu vergleichen mit 2007 oder 2000 ist völliger Humbug. Es ist eine Zahl, das ist der Preis für die Aktien, aber es ist nicht der Wert. Wenn man davon ausgeht, dass man für 8000 Punkte jetzt weniger kaufen kann, wie damals 2007, weil die Inflation einfach (man gewöhnt sich ja dran) steigt und steigt und steigt. Und wenn ich jetzt meine Aktien bei (hab ich Aktien?) Wen ich jetzt den Dax bei 8000 Punkten verkaufen würde, stellt sich doch mir die Frage: Wohin mit dem ganzen Geld. Und dann müsste ich es ja tauschen in Papiergeld. Will man das haben? Will man Anleihen haben? Will man dem Staat was borgen? Wenn ich zur Bank geh, müsste ich eigentlich fragen, welche Sicherheiten die MIR bieten können, damit ich denen das Geld gebe. Nee, es ist einfach der Kollateralschaden. Ich stehe hier mitten in einem Kollateralschaden von laxer Notenbankpolitik, die auf Ewigkeiten sich nicht ändern kann und sich auch nicht ändern wird. Mit Vernunft hat das nix mehr zu tun. Das hat einfach nur mit der Flucht zu tun. Wo geht man hin? Und ich glaube, dass man zukünftig viel größere Schwankungsbreiten bekommt. Weil einmal sagt man: Aktien! Ich muss da jetzt rein! Aus Gier heraus. Oder es kommt dann aus der Angst heraus, dass man aus den Anleihen rausgeht. Das haben wir auch noch nicht gesehen. Der Anleihemarkt ist riesig und gigantisch… Ich schau ja auf Aktien, auf Anleihen, auf Rohstoffe, auf Öl, auf Gold und auf die Währungen, wie sie im Krieg gegeneinander auf- und abwerten. Es sowieso bloß Papier, das wissen eigentlich die älteren Leute, aber es dauert immer zwei Generationen bis diese Erfahrung vorbei ist. Ich steh hier mitten im Kollateralschaden.
F: Und wie fühlst Du Dich denn in diesem Kollateralschaden, ganz persönlich? Wie fühlst Du Dich, wenn du morgens aufstehst, wieder hierher gehst und Dein tägliches Werk beginnst und den Rechner hochfährst?
A: Julia, ich bin Zeitzeuge inmitten einer Zeitenwende, die für viele viel zu langsam läuft, und für andere viel zu schnell. Und wo die Geduld auch gar nicht mal großartig gefragt ist. Wir stehen mittendrin in einer Blase, in jeder Beziehung: Ob das gesellschaftlich ist, ob das politisch ist, ob das finanziell ist und beobachten, wie die einzelnen Blasensubjekte sich bewegen. Ich steh mitten in einer Zeitenwende in einer großen Finanzblase, die wahrscheinlich noch größer wird. Ich bin Zeitzeuge. Und in zehn, zwanzig Jahren kann ich sagen: Ich war mit dabei und es war spannend. Nicht die Auswirkungen, aber das zu beobachten und zu sehen, wie sowas funktioniert oder dann auch wie es nicht funktioniert, das ist für mich spannend.
F: Da bleibt einem im Prinzip ja auch nur der Galgenhumor übrig, den du ja durchaus auch an den Tag legst, sag ich mal…
A: Galgenhumor würde ich nicht sagen. Das wäre ja wirklich der pure Zynismus und der blanke Sarkasmus. Soweit bin ich nicht. Sondern es gilt einfach als Journalist das mitzubekommen, was drum herum passiert, sich seine Gedanken zu machen, niederzuschreiben, Interviews zu machen. Das im großen Bild zu sehen, die Zusammenhänge zu erklären. Und dann ist es vielleicht nur eine Möglichkeit, diese Dinge, die im Kopf ablaufen loszuwerden auf Papier oder im Blog loszuwerden, um einfach zu sagen: Das ist meine Dokumentation für mich. Man verarbeitet ja auch viele Geschehnisse, die jeden Tag passieren und dann hat man es geballt in einer Schriftform. Man kann es für sich abhacken. Man hat es dann intus, sozusagen.
Einwurf: und outgesourced
Outgesourced. (lacht gequält)Es ist eine Chronologie, die man selbst schreibt. Früher hatte man vielleicht Tagebücher geschrieben oder Poesiealben vollgekleistert, aber heute gibt´s halt die Blogs und das Bedürfnis, was loszukriegen. Und wenn ich über das, was ich schreibe, vielleicht auch nur bei drei, vier Leuten ein bisschen was anwackele -dann hat sich das schon gelohnt.
F: wie siehst Du denn die Zukunft? Wo stehen wir dann denn in zwanzig, dreißig Jahren, wenn wir unser Zeitzeugendasein dann hinter uns gebracht haben. Auf was für eine Welt blicken wir, auf was für ein Europa blicken wir?
A: Wenn ich eine Glaskugel hier hätte, die wär trüb. Ich weiß es nicht. Ich befürchte, dass es weniger Demokratie wird, dass es mehr Gängelei wird, dass der Staat sich ausweitet, dass er sich soweit den Märkten entgegen stellt, bis diese komplett verrückt werden. Ich befürchte, dass wir gesellschaftliche Spaltungen bekommen zwischen dem Arm und dem Reich die Spaltung auch noch größer wird. Dass die Finanzblasen weiter wachsen, dass sie irgendwann platzen könnten… Ich befürchte einfach, dass das, was wir früher, wo´s noch langweilig war, damals zu Zeiten der Langspielplatte beispielsweise, oder der Musikkassetten, dass diese ruhigen Zeiten – und die 80er Jahre waren doch wirklich großartig, auch mit der Musik beispielsweise. Gut, ich bin jetzt schon so alt…
Einwurf: und der Mode…
Und der Mode? Nee, nee, nee von der Mode nicht. Ich befürchte nicht, dass wir die 80er Jahre verlieren. Sondern ich befürchte, dass wir in eine Zeit gehen, die bei weitem nicht mehr so gemütlich ist, wie sie früher gewesen ist. Und dass wir mit Dingen konfrontiert werden, in einem schnellen Takt, wo wir dann teilweise Fehler machen und die Fehler verheerende Wirkungen haben können. (…) Ich bin eher für eine Mischung aus Gelassenheit, sich zurücklehnen, das alles zu beobachten, sich eigene Gedanken zu machen, selbst rauszukriegen, wie man sich selbst verorten will. Was will ich!? Und diese Strategie für sich selbst umzusetzen. Und auf der anderen Seite: Verdammt nochmal die Klappe aufzumachen gegenüber Dingen, die einfach Freiheit einschränken, die Demokratie einschränken und die letztlich dann das Leben einschränken, dass es einfach nicht mehr so lebenswert ist. Denn wer heute in Demokratiezeiten schläft – das ist so ein alter Satz- der wacht später in einer Diktatur auf! Und davor hab ich am meisten Angst.
F: Letzte Frage, eine ganz persönliche Frage: Was ist denn für Dich das Wichtigste in Deinem Leben? Was ist Dein höchster Wert, was möchtest Du bis zum letzten verteidigen?
A: Freiheit ist da auf der ersten Position. Und es gibt diesen Satz von Édith Piaf: Leben ist, zu lieben und geliebt zu werden und mit sich selbst im Einklang zu leben. Ich find den Satz ganz ganz großartig. Dazu die Freiheit, selbst auch entscheiden zu können, was man tut und was man lässt. Nicht abhängig zu sein, Dinge zu tun, nur weil die das Geld reinbringen. Und aber auch sagen zu können: Das lass ich! Und das tu ich nicht, und das mach ich. Und das eine vom anderen zu unterscheiden.
Ganz herzlichen Dank an Frank, auch für sein immer offenes und erfrischendes Wesen!
Passend dazu: http://www.youtube.com/watch?v=ChrP_OHK93s „Werden sie doch Lobbyist…“(3sat, 2013)
Herzlichst, Julia Jentsch
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